Materie und Leidenschaft

Materie und Leidenschaft – Resonanzen zwischen diskreten und gesteuerten Faltungen

von Ursula Panhans-Bühler

In einem Essay zur „Kollaboration der Lüste“ macht sich Günter Anders Gedanken zu den Verführungskünsten der Pflanzen. Mit betörenden Blütendüften und -farben verstricken sie ahnungslose Insekten in einen Begattungsakt, aus dem letztere als Samentransportarbeiter –̶ heute würde man wohl sagen: natural networkers – entlassen werden. Anders’ philosophisches Stenogramm provoziert unsere Vorstellungsgrenzen von Leben und Erleben der Natur, ein Limes, der mindestens seit Leibniz’ Replik auf Descartes’ Mechanisierung der Tiere ̶ „Sollten Tiere keine Seelen haben, haben wir auch keine“ – immer neu infrage gestellt und/oder verschoben wird. Auch ohne einer romantisierenden Allbelebung der Natur anzuhängen, provozieren modernste Erkenntnisse über deren organische und anorganische Strukturen die Frage nach missing links, möglichen Transformationen oder Metamorphosen jenseits von Mythologie oder Metaphysik. Leibniz’ universalisierendes Faltentheorem führt eine Kategorie in die Naturphilosophie ein, die eine Brücke zwischen beseelter und unbeseelter Natur schlägt, ein Gesetz der Faltung, was im beseelten Bereich auch das Innenleben bestimmt. Faltung verstand er als dynamischen Vorgang der Kontinuität, bis ins unendlich Mikrokosmische und Makrokosmische reichend ̶ ein Konzept, was neuerdings Deleuze auch für das Selbstverständnis der Kunst aufgegriffen hat.

Dem Material und seinem Eigenleben gilt in den Künsten seit geraumer Zeit eine geschärfte Aufmerksamkeit, während der Glaube an Repräsentationen von Natur geschwunden oder von Skepsis gegenüber Pittoreskem abgelöst ist. Birgit Brandis’ künstlerisches Werk entwickelt auf dieser Grundlage malerische und druckgraphische Verfahrensweisen, die der Materie ihrer Arbeit eine neue Mitspielerrolle eröffnen. Faltungen – in diskreter und offensichtlicher Form – gilt hierbei eine intuitive Aufmerksamkeit, die ihre Erweiterung drucktechnischer Möglichkeiten geprägt hat.

Die schwarze Kunst der Hochdrucktechnik, auch wenn diese so wie andere Printtechniken im letzten Jahrhundert um unendliche farbige Möglichkeiten erweitert wurde, stellt sie insofern auf den Kopf, als sie die Papieroberfläche mit schwarz eingefärbten Druckstöcken grundiert, eine optische Entscheidung, die sie auch ihrer Malerei auf Hartfaserplatten zugrunde legt. Deren physischer Widerstand erlaubt eine Übertragung drucktechnischer Verfahren und so den Verzicht auf eine persönliche Pinselhandschrift. An deren Stelle treten nicht nur in der Druckgrafik, sondern ebenso in ihrer Malerei, die Spuren des Druckprozesses. Auf der Basis immer vielschichtiger und komplexer werdender Formideen und Arbeitsprozesse entwickelt sie in spielerischer Neugier und sorgfältigem Erproben eine Fülle von Werkformen. Vom Überlagern von Druckvorgängen, Ausschnitzen tieferer Farbschichten und Auskratzen von Wachskreidegründen, führt Birgit Brandis’ Arbeitsweise bis hin zur Emanzipation des Druckstocks als eigenständigem Reliefbild. Spontane Verlaufsformen geschütteter und verfließender Farbe auf schwarzem, noch feuchtem Bildgrund werden mit vorsichtigen Neigungen des Bildträgers mitgesteuert. Noch flüssige, fette parallele Linienverläufe auf einem gleichfalls feuchten Grund reagieren auf Wendungen des Bildträgers mit chaotischen, dynamisch heftigen Wellen- und Strudelbildungen.

Alle diese Bildideen verbindet eine komplexe innere Vorstellungsform. Schichtungen machen nicht nur Zeitprozesse sichtbar, erinnernd an Stratifikationen, die wir aus dem urbanen Umfeld kennen, sie zielen vor allem auf ein gleichräumiges Verhältnis von Oberfläche und Tiefe, einen optischen Schwingungsraum, der sich den Formbeziehungen und in vielen Bildern einer irisierenden Farbigkeit verdankt. Dieser Umgang mit Farbe ist bemerkenswert. Mit den Lichtwerten der Farben arbeitend, spielt das Schwarz, sichtbar oder grundierend, eine kontrapunktische Rolle für die fluktuierende Luminosität. Der Schwingungsraum wird so vom Klangraum der Farben gestützt. Bilder mit komplexen Gittergeweben, realisiert mit Klebestreifen kreuz und quer, die nach dem Farbauftrag wieder abgezogen werden, mögen aufgrund des irisierenden Reflexlichtes Vorstellungen von energetisch brodelnden nächtlichen Städten auslösen. Die großartige Installation im Oel-Früh Cabinet Hamburg erzeugte ein Ambiente, das nicht nur dynamisch pochende Kräfte der Zivilisation, sondern auch solche der Natur in einer optisch dramatischen Folge verband. Als Betrachter geriet man in eine untergründige Zwischenwelt enormer Energien, als wäre man in Dantes Dickicht eines finsteren Waldes und zugleich in Calvinos „unsichtbare Städte“ geraten.

Die Imagination der Künstlerin arbeitet nicht nur mit intuitiven, sondern auch mit materialen Zwischenwelten, die sich genauso einer absoluten Kontrolle entziehen, um mit immer neuen Überraschungen aufzuwarten. Der geschwärzte Bildgrund und das Arsenal größerer und kleinerer Druckstockformen, Druckstreifen und Klebebänder und auch aufgeschüttete Farben interagieren ̶ unterstützt durch die Steuerung von Trocknungsprozessen – stofflich und optisch miteinander: verschmelzend, in Erosionen ausblühend, für einander durchlässig werdend. Jeder Trocknungsprozess, jedes Abnehmen von Druckstöcken oder Klebebändern endet mit Überraschungen, wie die Materien letztendlich – sponte sua – aufeinander reagiert haben. Das Resultat kommt so immer auch aus einer anderen, wenngleich objektiveren Welt.

Das Ablösen der Druckstöcke vom Bildträger hat aber noch eine weitere Seite, die in Birgit Brandis’ Arbeit eine bedeutsame Rolle spielt. Es gleicht einer Auffaltung. Druckstock und geprintete Form begegnen sich in einer enantiomorphen Spiegelung, die im Resultat augenblicklich sich verliert. Sehr viele Bilder bestehen aus zwei Platten übereinander, manchmal mit unterschiedlichen Motiven, manchmal sich spiegelbildlich entsprechend. Eines der Streifenbilder erweitert diese Spiegelung, indem sich die Streifen nicht vollständig entsprechen, sondern in Farbauftrag und Länge variieren. So entsteht eine eindrucksvolle Klangfolge, die optisch die Enantiomorphie umspielt und rhythmisch an Gitarrenriffe erinnern mag.

Natürliche Objekte wie Pflanzenblätter, Gräser, Schmetterlingsflügel und biologische Wesen generell haben eine bilaterale Spiegelungsachse, deren Hälften sich jedoch niemals vollkommen gleichen, vielmehr diskret eigene Wege gehen. Dieses Prinzip einer Auffaltung setzt die Künstlerin in Werken mit Spiegelungen ein, die sich nicht auf einen isolierten Druckstock stützen, denn ein solcher lässt nur einen ergänzenden Abdruck in einer gleichwohl eindrucksvollen Torsion um 180° zu. Eine bilaterale Spiegelung erreicht sie jedoch in einem drucktechnisch aufwendigen Zwischenschritt, indem sie mithilfe einer Unzahl von Minidruckstöcken die Negativformen einer ersten Platte auf eine zweite überträgt, wodurch sich das Ausgangsmotiv zunächst als neues Negativ abzeichnet, bevor es weiter bearbeitet wird und in leichten Abweichungen eigene Wege einschlägt. Diese Transformation der Auffaltung widersetzt sich dem bedrohlich symbiotischen Sog, der von absoluten Spiegelungen erzeugt wird. Vielleicht war es das, was Adolf Loos zu seinem legendären, verallgemeinernden Diktum „Ornament ist Verbrechen“ provoziert hatte. In seinen architektonischen Innenräumen jedoch operierte er mit gespiegelten Steinplatten, in deren Schnitten die Verlaufsformen des geologischen Eigenlebens ihre Differenz diskret manifestierten – Großfaltungen der Erdgeschichte, deren tektonischem Drama Roger Caillois einen Essay gewidmet hat.

Birgit Brandis greift nicht nur ein sichtbares Faltungsprinzip aus Wachstumsprozessen der Natur auf. Sie arbeitet auch mit diskreten Faltungen organischer und anorganischer Stoffe. Diese Faltungen, mathematisch in Formeln zu fassen, verdanken sich energetischen Bewegungsprozessen, die unterschiedlich träge Materien in der Raumzeit miteinander austragen. Hier kommen Brandis’ Schichtungen aufs Neue ins Spiel. Leichter fasslich sind sie dort, wo noch feuchte Farblinien und -felder, durch Bewegung des Bildträgers dynamisch erregt, Form und Verlaufsform verändern. Sie sind aber auch dort am Werk, wo die Farben gleichsam insgeheim verschränkende Faltungen ihrer Materie im Druckprozess eingehen, die den Resultaten ihre sichtbare Mehrschichtigkeit, Luminanz und ungewöhnliche Kraftausstrahlung verleihen. Daran hat die zugrunde gelegte Schwarzfärbung einen mehr als stofflichen Anteil. Es ist, als ob aus einem nicht nur physischen Nachtraum alles Sichtbare in Erscheinung getreten ist, ohne dämonische Zweideutigkeit, im Vertrauen auf seine substanziellen Kräfte.


 

Material and Passion – Resonances between discrete and directed Folding

In an essay about the „collaboration of desires“ Günter Anders reflects on the seductive powers of plants. Ravishing colours and captivating fragrances lure unsuspecting insects into copulation, making natural networkers of them as they emerge from this act to pollinate others. Anders´philosophical shorthand note provokes our imagination´s limits about life and the experience of nature; a frontier which has been questioned and extended at the latest since Leibniz´dictum about Descartes´mechanizing of the animal: „Should animals have no soul, we do not have one either.“ Even without romanticising nature as entirely animated, contemporary scientific insight into its organic and inorganic structures provokes the question of missing links, possible transformations or metamorphosis beyond mythology or metaphysics. The universalizing theorem of convolution by Leibniz introduces a category of the philosophy of nature which bridges animated and inanimate nature – a law of folding which – regarding the soul – also governs the inner life. Folding was understood as a dynamic continuity reaching into the infinitely small and the infinitely large – microcosmos and macrocosmos. Deleuze adapted this concept in recent times, also for the self-reflection of the Arts.

For a while now the Arts have been developing a honed regard for material and its processes whereas the belief in representations of nature has dwindled or been replaced by scepticism about the picturesque. From this foundation Birgit Brandis´work develops modes of painting and printing which assign a new role to the material. Foldings – discrete as well as more obvious – have her intuitive attention just as the expansion of her range of possibilities as a printer.

The black art of relief printing, just like other printing techniques, has been extended by countless colourful options over the last century. Brandis turns it upside down by using blackened plates to prime the paper surface. A decision for optical reasons, which is also the base of her painting on masonite. Its physical resistance allows for a direct transition of the printing process and thus eliminates any painterly signature. In her prints as well as her painting this is replaced by the traces of the printing process. The many layers and complexities of her ideas on form and execution she develops equally playfully and meticulously. The result is a growing variety of forms. The layering of printing processes, carving into deeper layers of colour and scratching of wax crayon layers lead to an emancipation of the plate as independent relief. Spontaneous traces of fluid where colour is poured onto the black and moist ground coat are steered by careful tilting. Liquid fat parallel lines on an equally moist background react to the change of angle and direction of the physical object with chaotic, dynamically fierce formations of waves and swirls.

All this imagery is connected by a complex inner imagination. Layering not only reflects on time passing, reminiscent of stratifications as we know them from urban spaces. It aims for a balanced spatial relationship of surface and depth, a space for visual resonance of forms and in many paintings of iridescent colours. Brandis´ use of colour is exceptional. Black as primer, or visible in its own right, plays off the fluctuating luminosity of the colours. The resonance is supported by the colours´ auditory resonance. Some paintings show complex grids created with duct tape which has been removed after the application of colour. Iridescent light reflexes may evoke the energetic buzz of a city at night. In the fabulous installation at Oel Frueh Cabinet, Hamburg Brandis created an ambiance by connecting the dynamic pulse of civilization and that of nature in an optically dramatic sequence. It transported the viewer into a limbo of energetic enormity as if wandering through Dante´s darksome forest and Calvino´s „Invisible cities“ at once.

The artist´s imagination works with intuitive as well as material intermediate levels of existence which evade total control yet surprise us constantly. The blackened ground and an arsenal of smaller and larger printing plates, print stripes and duct tape and also poured colour, react with one another physically and optically, permeate each other, merge, blossom in erosions, assisted by the steered drying process.

Each drying process, each lifting of a printing plate or tape bears a surprise as to how the materials – sponte sua – have reacted towards one another. Thus the result comes from another if more objective world.

The lifting of a plate from the surface has yet another connotation in Brandis´work. It resembles an unfolding. Plate and printed form meet in an enantiomorphically mirrored form, which is elusive right after appearing. Many works consist of two plates printed over each other, sometimes with different motives, sometimes mirroring the image. One of the striped images extends the mirroring by showing variations in colour and length. This creates an impressive sound sequence, optically embellishing the enantiomorphia. Rhythmically one is reminded of guitar riffs.

Natural objects like leaves, blades of grass, butterflies´wings and living creatures in general have a bilateral mirroring axis. Their halves are not identical but show discrete individual variations. This principle of an unfolding Brandis applies in her works with mirroring imagery. The works which employ more than one plate allow for more variety of the motif than an – already impressive – 180° torsion. In order to achieve a bilateral mirroring effect Brandis installed an intricate procedure by which she transfers the negative form of the original image onto a large number of minuscule plates thus creating a second plate of the original image. This is then worked on and over before it unfolds individually into new forms of appearance. The transformative aspect of the fold resists the dangerous symbiotic pull created by perfectly mirrored images. Maybe this is at the root of Adolf Loos´ legendary dictum „ornament is crime“. His architectural spaces he furnished with mirroring stone plates whose cutting edges manifest discretely the differences in continuous forms of geological life – large folds of earth´s history whose tectonic drama Roger Caillois dedicated an essay to.

Birgit Brandis not only applies a principle of folding from nature´s growth processes, she also works with the discrete folding of organic and inorganic materials. These foldings, expressed in mathematical formulas, owe their existence to the motion dynamics of energies which rule the interaction of materials with different density in time and space.

Here Brandis´ layering works in that it facilitates the viewer´s access to the moist lines and areas of colour as they changed shape and flowed while their base was dynamically stirred. In addition the colours react with an almost secretive folding of their matter during the printing process. The result is a multi layering, luminosity and extraordinarily powerful radiance. Black as background colour, to set them off against, amplifies this effect in a more than physical way. It is as if from a night space everything visible has emerged, with no demonic ambiguity but with the trust in its own substantial powers.