Kleinode

Birgit Brandis – Kleinode

von Franziska von Keitz

Abstrakte Landschaften, sperrige, folgende Formen, fragile Schichten im vermeintlich leeren Raum voller Kleinode, intensive Farben in gegenseitiger Opposition. Wer das Schaffen von Birgit Brandis betrachtet, fühlt sich in urbane Räume versetzt, ist eingenommen von futuristisch anmutender Romantik, Mondlandschaften voller Seifenblasen oder steht vor Transzendenzen geometrischer Strukturen. Ebenso sichtbar sind aktuelle Themen der Malerei wie die Einbeziehung von Architekturzeichnungen etwa, das Spiel mit geometrischen Formen und ihr In-Kontrast-setzen mit dem freien Fluss der Farbe. Der Eindringlichkeit dieser Arbeiten vermag man sich kaum zu entziehen. Mit oxymoralem Charme umgarnen ihre Arbeiten den Betrachter und ziehen ihn in eine eigene Welt voll tiefer Komplexität.
Birgit Brandis ist eine Forschernatur voller Energie und Entdeckergeist. Beides kanalisiert und integriert sie in Form einer häufig in der Wissenschaft eingesetzten Methode in ihren Arbeitsprozess: die der Beobachtung. Ausgehend von einer großen Bandbreite an Themen untersucht sie die Struktur von Natur und Raum, aber auch immer wieder optische Phänomene und Muster. Sie nimmt ihren Lebensraum sehr bewusst wahr, hinterfragt Strukturen unseres Alltags, betrachtet die Lebendigkeit der urbanen Natur, beispielsweise, wenn sie aus ihrem Fenster im 12. Stockwerk Vogelschwärme füttert. Immer wieder stößt man auf Aspekte von Metamorphosen und Vergänglichkeiten, aber auch der städtischen Rückeroberung durch die Natur. Die Kamera wird zum Dokumentar dieser Entdeckungen und die Fotografien zur Quelle für die Entwicklung von Bildideen, auch wenn sie in der fertigen Arbeit oft nur fragmentarisch sichtbar bleiben – als Dekonstruktion von Alltäglichem, wieder zusammengefügt zu etwas Neuem. Bei der Zusammensetzung ist ihr das große Ganze genauso wichtig wie die Stimmigkeit jedes einzelnen Ausschnitts. Im Vordergrund steht eine kontrastreiche Spannung. Dieser müssen sich in der Malerei spezifische Formen unterordnen. In ihren Drucken geht Birgit Brandis dagegen oft von einer zentralen Form aus und entwickelt um sie herum ihre Komposition. Dieser dekonstruktivistische Gedanke, der gleichermaßen Sinndestruktion und Sinnkonstruktion umfasst, bestimmt ihre dementsprechend präzise Arbeitsweise.
Der Arbeitsprozess von Birgit Brandis beginnt zunächst mit einer Eingrenzung des Raumes, in dem sie ihre Bildidee mit einem sehr durchdachten, gleichzeitig experimentellen und nahezu bildhauerischen Vorgehen rekuriert. Innerhalb dieses begrenzten Raums überträgt sie ihre Beobachtungen schichtweise in ein gezieltes Experiment mit offenem Ausgang, in dem sie ihr Material bewegt, dirigiert und modelliert. Die Grundlage für die Malerei sind meist zwei Hartfaserplatten, die dunkel grundiert werden. Zunächst auf dem Boden, später auf der Wand, häufig in Bewegung kratzt, schabt, klebt, dosiert, verdickt, verdünnt – „behandelt“ Birgit Brandis das Material, erforscht seine Eigenart, Eigenleben und Körperlichkeit aber auch immer wieder. Sie setzt mit chirurgischer Präzision und feinstem Werkzeug Schnitte, füllt diese wieder mit Farbe, klebt Partien ab, trägt schichtweise Acrylfarbe auf, entfernt Teile davon wieder und greift immer wieder lenkend in den Trocknungsprozess ein und lässt sich von Materialeffekten überraschen. Die dabei verwendete Farbwelt ist stark von ihren Beobachtungen über die Metamorphosen der urbanen Natur geprägt: brechendes Licht, rostendes Metall, erodierender Lack, moosartiger Bewuchs auf alten Gemäuern. Für den Betrachter entsteht so eine schillernde, irisierende, kontrastierte Welt.
Birgit Brandis arbeitet außerdem mit einem von ihr entwickelten Hochdruckverfahren, das sie sowohl in ihrer Malerei als auch in ihren Grafiken einsetzt. Dabei werden Druckstöcke aus Styrodur – der etwas festere und normalerweise im Hausbau eingesetzte Bruder des Styropor – zurechtgeschnitten und dann ähnlich wie die Hartfaserplatten filigran bearbeitet. Vor dem Aufdrücken auf Papier oder Hartfaserplatte wird Acrylfarbe auf die Druckstöcke mit Walze oder Pinsel aufgetragen. Diese Technik erlaubt ihr, Malerei und Druck miteinander zu verweben, beides auf- und ineinander zu übertragen. 2010 wurde sie dafür mit dem Graphikpreis der Griffelkunst-Mitglieder ausgezeichnet.
Dieser kurze Blick hinter die Fassade der Arbeiten von Birgit Brandis soll ihre Anregung unterstreichen. Denn jede Faser einer Arbeit von Birgit Brandis soll als Einladung an den Betrachter verstanden werden, selbst zum Forscher zu werden, die eigenen Assoziationen zu ergründen und sich bereichern lassen von einer Reise zu diesen Kleinoden. Und so steht Kleinod – das Schmuckstück – in dieser Ausstellung für die kleinen Kostbarkeiten, die häufig zufällig gefunden werden, manchmal einer anderen Zeit entrückt sind, und in denen bei näherer Betrachtung ganze Welten stecken können; Welten, die nur in unseren eigenen Gedankenverknüpfungen entstehen.