Schlundschuppen und Honiglippen

Allgemein, Ausstellung 1. September 2022

Westwendischer Kunstverein 21.05. – 19.06. 22

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Alphabet der Pflanzenlüste

Birgit Brandis zeigt in ihrer Ausstelllung – „Schlundschuppen und Honiglippen“ – im Westwendischen Kunstverein ein „Herbarium“, kleinformative Wachs-Auskratzarbeiten auf Papier, sowie zwei große Formate auf MDF Platten, mit sensibel gesteuerten Farbverläufen und Farbauskratzungen.

Namen von Pflanzen und Blumen, und so auch diejenigen des Herbarien-Alphabets, stammen meist aus der Umgangssprache, einige von Brandis’ Titeln fügen poetische Anspielungen hinzu – “Bartnelke bei Nacht”, oder “Schachbrettblume bei Nacht”. Andere hatten schon poetisierende Namen – “Herkuleskeule” , “Frauenschuh”, oder lateinische, wie „Hibiskus“, oder aber sie erhielten einen romantischen Kultstatus, wie die „Blaue Blume“.

Der Hamburger Künstlerin geht es weder um Illustration noch Abstraktion. Vielmehr bildet die sexuell erotische Dynamik den Ausgangspunkt, die in Farbe und Formung von Pflanzen und Blumen am Werk ist als energetisches Zentrum, auf welches schon das Motto für das Herbarium, “Vom Wesen der Lunte” humoristisch anspielt. Die imaginäre Lunte lässt sich vergnüglich konspirativ in der eigenen Phantasie verfolgen, vom Pflanzenstiel bis zur Blüte. Letztere explodiert jedoch nicht technisch-mechanisch, sondern wendet sich im erregt erregenden Farb- und Formenzauber dem Licht zu und einer zu erwartenden Begattungsbestäubung mithilfe von Bienen und anderen Insekten. Diese Triebdynamik verwandelt Birgit Brandis in eine abstrahierende, aber die erotische Faszination paraphrasierend weitertragende Form.

Die Technik des Wachs-Auskratzens legt Tiefenschichten in einem Prozess frei, der nicht immer bis auf den Grund geht. Vielmehr spielen auch modulierende Übergänge innerhalb einer Farbe oder mehrerer Farbtöne mit, die das Motiv in die atmende Atmosphäre einer Tiefenräumlichkeit tauchen.

Hierbei vertauscht der Prozess des Auskratzens Oberfläche und Tiefe. Das Licht drängt sich im Entstehen von konturierten Formen oder farbig irisierenden Reflexlichtern in den Vordergrund. Viele Motive tauchen aus einer schwarzen oder extrem dunkelblauen Wachskreide auf und pointieren so den ‘Grund’ (eigentlich die Wachsoberfläche) als einen vergleichsweise magischen Nachtraum. Geometrische Flächenbeziehungen von Motiv-Repetitionen leuchten optisch frei schwebend in der Räumlichkeit. Zusammen mit Wirbeln und Strahlen von Blüten und Fruchtständern, entfaltet oder verdichtet sich rotierend ein erotisch lebendiges Feuerwerk.

Die kompositorischen Formen von Brandis’ Blumen und Gewächsen sind inspiriert von auffälligen Mustern und eigenwilligen Bewegungsverläufen – allesamt gesteuert von pflanzlichen Energien des dynamisch expansiven Aufblühens oder des Anpassens an den verfügbaren Platz. Die künstlerische Übersetzung konfiguriert so dynamisch-optische Gewebe, an denen das raffiniert modulierte Farblicht, erarbeitet im Handhaben des Wachs-Auskratzens, mit seiner extremen Leuchtkraft und optischen Räumlichkeit keinen geringen Anteil hat.

Birgit Brandis gelingt es, mit ihren Wachs-Malereien Betrachtern einen vielleicht überrauschend neuen Zugang zur Universalität der erotischen Dimension des Lebens und Erlebens zu öffnen. – „Eros .. c’est la vie“, wie die seinerzeit provokante Parole von Duchamp lautete, hat keine Veranlassung, die belebte Natur zu vernachlässigen.

Ursula Panhans Bühler

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