Lerchenfeld HFBK Hamburg Februar 2016
Artikel von Julia Mummenhoff
Birgit Brandis ist Leiterin der Werkstatt Drucktechniken an der HFBK. Im November und Dezember 2015 widmete der Kunstverein Ulm ihr eine Einzelausstellung
Der Ausstellungsraum des Ulmer Kunstvereins im ersten Stock eines Hauses aus dem 16. Jahrhundert ist alles andere als ein white cube. Den Patriziern, die das Haus bauen ließen, diente er als Tanzsaal und manchmal auch als Fechthalle. Nach dem zweiten Weltkrieg war er der einzige noch erhaltene größere Saal in der zerstörten Ulmer Innenstadt, weshalb die ersten Lesungen, Konzerte und Vorträge der Ulmer Volkshochschule dort stattfanden, aus der dann später die berühmte Hochschule für Gestaltung hervorging. Seine Geschichte drängt sich nicht auf, aber die physische Dominanz des Raumes ist etwas, mit dem sich jeder der dort ausstellen will, auseinandersetzen muss. Birgit Brandis hat seine durch Säulen und Schnitzereien bedingte „Holzlastigkeit“ in die Konzeption ihrer Ausstellung mit einbezogen und den Raum damit quasi zum „Komplizen“ gemacht. Ihre Arbeiten, die sich zwischen Malerei, Druckgrafik, Skulptur und Zeichnung bewegen, können es sehr gut mit den räumlichen Gegebenheiten aufnehmen. Während sie in einer Ausstellung im Frühjahr in Reutlingen Hochdrucke präsentierte, die sich auf Papier eher luftig ausnehmen, zeigt Brandis nun in Ulm vor allem Tafelbilder, die ihrerseits eine beeindruckende körperliche und sinnliche Präsenz entfalten.
Birgit Brandis, geboren 1976 in Heidelberg, hat an der Akademie der bildenden Künste Karlsruhe bei Gustav Kluge studiert, der selbst wiederum an der HFBK Hamburg Malerei studiert hat. Im Mittelpunkt ihrer Arbeit steht die Auseinandersetzung mit der Materie, die im künstlerischen Prozess eigene Eigenschaften mitbringt und so zum Mitspieler wird. Bei den Farbschüttungen auf dem Boden zum Beispiel, die als Reaktion auf den Raum zu verstehen sind. Es sind drei Farbinseln, entstanden durch Schüttung auf Folie und minimale Bewegung, die eine eigene Topografie im Raum bilden. Sie erinnern an die Schüttungen aus farbigem Latex, mit denen Lynda Benglis in den 1960er Jahren die Formlosigkeit der Farbmaterie vorzuführen suchte, wie Monika Wagner schreibti. Bei Benglis sei das aber auch eine Polemik gegenüber männlichen Kollegen wie Jackson Pollock gewesen, meint Brandis. Sie selbst versteht die Schüttungen, ganz frei von jeder anderen Absicht, als das Aufzeigen einer Möglichkeit. Der Raum interagiert direkt vor Ort mit der Farbe. Das Material, der Raum und die Künstlerin lassen gemeinsam das Bild entstehen. Die Flussrichtung der Farbe wird durch den Raum mitbestimmt, zugleich kann sie auch autonom agieren. Es ist eine entspannte Beziehung, das deutet schon der Titel „roll up the island and take it with you“ an: Nach dem Trocknen sind die Farbinseln Objekte, die man jederzeit aufrollen und mitnehmen könnte. Von einer ähnlichen Lockerheit im Umgang mit dem Raum zeugt eine weitere Intervention, die Brandis vorgenommen hat: eine (nach der 13. Fee im Märchen Dornröschen) „Malefiz“ betitelte Säule aus geschichteter Pappe ergänzt die zwölf historischen Holzsäulen des Saals. Sie schraubt sich in elegantem Schwung vom Boden bis zur Decke und verrät durch nichts dass die Summe ihrer einzelnen Teile mehrere hundert Kilo wiegt. Hier wird die Schwerkraft überspielt, die in den Arbeiten von Brandis eine wichtige, mehr oder minder sichtbare, Rolle spielt.
Die Moderne kennzeichnet eine geschärfte Aufmerksamkeit gegenüber dem Material, das sich von dem Zwang zur Repräsentation löst, konstatiert Ursula Panhans-Bühler in ihrem Text im Katalog zur Ausstellung noch einmal speziell mit Bezug auf das Werk von Brandis, die aus dieser offenen Beziehung eine nach oben offene Anzahl an Möglichkeiten schöpft. Die Entstehung ihrer Arbeiten, die überwiegend auf dem Boden geschieht, folgt genau austarierten Prozessen der Steuerung und des Zufalls. Spielregeln nennt Brandis die sich wandelnden Prinzipien, die die Beziehung zwischen den am Entstehungsprozess beteiligten Akteuren definieren und eine Bildidee zum Vorschein bringen. Die Ulmer Ausstellung entspricht insofern ihrer Arbeitsweise, als sie verschiedene Konzentrationspunkte anbietet, die Besucher aber nicht lenkt.
Oft haben ganze Gruppen von Arbeiten dieselben Formate. Im hinteren Teil des Raumes sind es vor allem querformatige Tafelbilder aus zwei horizontal zusammengesetzten Platten. Eines davon (Untitled, 2015)erinnert an eine Baumlandschaft, die sich im unteren Teil zu spiegeln scheint. Im oberen Teil haben sich die Formen durch das Fließen der dick aufgetragenen Farben in verschiedene Richtungen ergeben. Als Antwort auf diesen stark vom Zufall geprägten Vorgang hat Brandis die Formen im unteren Teil als Druck in Ölfarbe auf Acryl fortgesetzt, wobei sie in akribischer Arbeit für jede Farbe und jede Form einen eigenen Druckstock angefertigt hat. Die Erfahrung mit dem Druck, vor allem dem Hochdruck ist in sehr vielen Arbeiten von Brandis präsent, die auch schon mal einen benutzten Druckstock als Malerei recyled und weiterentwickelt. Es ist vor allem das Denken in Schichten, das dadurch geprägt ist und das in Arbeiten wie „sub sur II“ zur Geltung kommt. In einem umgekehrten Prozess entstand die relief-artige Komposition durch das sukzessive Freilegen der Farbschichten von der obersten (gelben) bis auf die unterste (schwarze), ein Vorgang, der beim Anlegen der Farbschichten schon mitgedacht werden musste. Auch die Streifen- und Raster-Bilder sind in Schichten konzipiert. Dabei entsteht eine Malerei über die gesamte Bildfläche, die mit einem Raster abgeklebt und übermalt wird. Das wird mehrmals – immer leicht versetzt – wiederholt. So stecken in einer Komposition viele verschiedene Bilder, deren Existenz man als Betrachter wie ein Geheimnis erahnt.
Das Bilder-Duo „Mit“ und „Tit“, 2015, legt mehr als andere Arbeiten seine Entstehungsprinzipien offen: In der oberen (Tit, von „Stalagtit“) beziehungsweise unteren (Mit, von „Stalagmit“) Hälfte verlaufen weiß in schwarz gezogene Linien und bilden Zapfen, die nach unten (Tit) oder nach oben verlaufen (Mit). Die jeweils andere Bildhälfte weist ein vertikales Streifenraster auf, das wie eine Antwort die Fließrichtung der Farbe betont. In den Papierarbeiten, die in der Ausstellung konzentriert an einer Wand zu sehen sind, kommt das Prinzip musikalischer Rhythmen zum Tragen. Deshalb heißen die mit Rasierklingen in Wachs gearbeiteten Zeichnungen, sie wegen ihrer Handlichkeit auch außerhalb des Ateliers entstehen auch „riffs“. An manchen Stellen durchdringt die Rasierklinge das Papier. Hier hat sich der Rhythmus, der am Anfang vorgegeben war verstärkt, Amplituden gebildet, die die Zeichnung in den Folgeteilen verändert, weil das ganze Blatt darauf reagiert.
Die Arbeiten von Brandis bleiben abstrakt, auch wenn manchmal etwas in ihnen aufscheint, das ein Narrativ, oder etwas Wiedererkennbares sein könnte. In den Entstehungsprozessen gibt es manchmal Parallelen zu natürlichen Prozessen, die sich dann in die Komposition mit einschreiben. Oder sie bestehen aus einem natürlichen Prozess der dann in der Komposition seinen unmittelbaren Ausdruck findet. So wie dem zweiteiligen Tafelbild „Es war das Blau“. Es entstand durch eine viele Stunden dauernde, von der Künstlerin eingreifend beobachtete Auswaschung der ursprünglichen Farbe, die sich in ihre Bestandteile blau und weiß zerlegte. Die Komposition spiegelt den Erosionsprozess und weckt zugleich viele Assoziationen an Bildhaftes. Der Titel „Es war das Blau“, der der gesamten Ausstellung den Namen gab, verweist humorvoll auf die Farbe als Akteur. Und fast, aber nur fast, scheint es so, als würde doch eine Erzählung hinter alledem stecken.
i Monika Wagner, Farbe als Material, in: Das Material der Kunst. Eine andere Geschichte der Moderne, München, 2001, S. 46